Die St. Cosmas und Damian Kapelle

Bevor das Rathaus und das Dorfgemeinschaftshaus in der Nachbarschaft gebaut wurden, war die Kapelle das alle Häuser überragende und zentrale Gebäude Nußdorfs am südwestlichen Eck der Straßen Zum Karpfen und Zum Laugele. Vor dem Bau der Bahnlinie waren das Laugele und der Karpfen Teil der Straße Uhldingen-Überlingen.

Ihren Namen verdankt die Kapelle dem syrischen Zwillingspaar Cosmas und Damian, zwei Ärzten, die im 3. Jahrhundert nach Christus im Nahen Osten wirkten. Sie waren hervorragende Heilkünstler. So sollen sie einer Frau das faulende Bein amputiert haben und ihr das gesunde Bein eines gerade verstorbenen Mohren transplantiert haben. Bemerkenswert ist auch, dass sie für ihre Dienste keine Entlohnung verlangten. Sie erlitten 303 in Aigai in der heutigen Türkei den Märtyrertod durch Enthauptung, nachdem sie weder ertränkt, noch verbrannt, noch mit Pfeilen erschossen werden konnten.

Wie kommt eine Kapelle in einem Bauerndorf zu solchen exotischen Patronen?

Die Nußdorfer Kapelle wurde als gotische Kapelle mit Altarraum Ende des 13., Anfang des 14. Jahrhunderts gebaut. Vermutlich stand vor dem Bau dieses Gebäudes auf dem Fundament eine Vorgängerin, da das Fundament nach Meinung eines Maurers bei der letzten Renovierung 2008 aus dem 11. oder 10. Jahrhundert stammt. Es ist nicht sicher, ob diese Vorgängerkapelle und der Neubau als Namenspatronin St. Verena hatten, da die Quelle hier von einer Kapelle mit acht Altären spricht. Diese sei von zwei Bischöfen geweiht worden, eine zu große Ehre für eine Kapelle im kleinen Nußdorf. Ihren heutigen Namen erhielt die Kapelle wahrscheinlich erst nach 1348/49. Die Namensgebung „Cosmas und Damian“ war zu dieser Zeit recht häufig, da man sich wegen der Pest, die in diesen Jahren durch Europa fegte, Schutz durch die Heiligen der Heilberufe erhoffte.

Beim Gang um die sechseckige Kapelle sieht man, dass auf der Südseite die Bögen der beiden Fenster keine Spitze haben, sondern abgestumpft sind. An der Ostseite sieht von außen ein nur angedeutetes spitzbogiges Fenster.

Auf der Nordseite hingegen formen die Fenster klassische gotische Spitzbögen. Dort hängt außen an der Kapellenwand ein Kruzifix aus dem 16. Jahrhundert. Über diesem befindet sich auf dem Dach eine kleine Gaube. Das Fenster diente als Ausguck, um während der Flurprozession in der Bittwoche vor Christi Himmelfahrt die Glocken läuten zu können, wenn diese an einem der vier im Dorf aufgestellten Altären - in den letzten Jahren bei den Bauern Zündel, Buchstor, Zundel und Schreiber - angekommen war.

Links neben den Füßen Jesu ist in der Wand eine kleine, vergitterte Nische, in der sich „ein etwas derb gestaltetes Bild auf Blech in dunkelbraunem Holzrahmen“ befand. Dieses Bild vom Ende des 18. Jahrhunderts stellte „die Schmerzhafte Muttergottes mit den sieben Schwertern in der Brust“ dar. Auf einem Spruchband war zu lesen: „Alle die ihr vorübergeht, seht ob ein Schmerz meinem Schmerz gleich sei“. Das Bild war zu guter Letzt wohl durch das Ruß der Kerzen so schwarz geworden, dass es entfernt werden musste.

Den Giebel auf der Westseite krönt ein Giebelreiter. Dieser ersetzte um 1860 ein etwas größeres Türmchen mit einem Rosettenfensterchen. Es ist nicht bekannt, wann dieses auf die Kapelle gesetzt worden ist.

Der Eingang - im Westen - wie auch das Kruzifix werden seit den 80ger Jahren des vorigen Jahrhunderts durch Vordächer geschützt. Auf alten Postkarten sieht man die Kapelle noch ohne diese Vordächer.

Es gibt keine Beweise, dass es neben der Kapelle einen Friedhof gab. Das umlaufende Gerücht, man habe beim Graben Knochen und Totenköpfe gefunden, können die Bewohner des ehemaligen Nachbarhauses nicht bestätigen.

Die Kapelle diente wohl von Anfang an als die Kirche der Nußdorfer, wo an den Sonn- und Feiertagen die Messe gelesen wurde. So steht im Vermächtnis der Adelheid Schneider vom 26. April 1470, dass diese der Kapelle in Nußdorf 4 ½ Hofstett Reben (ca. 16 Ar), ihr Haus und noch mehr vermacht habe, unter der Bedingung, dass immer eine wöchentliche Messe zur „Abtilgung ihrer Pein (wohl im Fegefeuer)“ zu lesen und jährlich eine Totenvigil[1] am Montag nach Mariä Himmelfahrt zu halten sei.

1597 ist die Kapelle sehr gründlich renoviert worden. Damals wurde sie innen neu ausgemalt.

Um Weihnachten 1643 wurden alle Häuser von Nußdorf außer einer Scheune und der Kapelle von französischen Truppen zerstört. Die Kapelle wurde zwar beschädigt, die Wandmalereien von 1597 aber sind erhalten geblieben.

Die 1648 überlebenden 14 Männer von Nußdorf mit Familie und Gesinde, wahrscheinlich rund 50 Menschen, und die Obrigkeit in Salem hatten nach der Zerstörung ihres Dorfes andere Prioritäten als die Wiederherstellung ihrer Kapelle. Vermutlich gingen spätestens seit dieser Zeit die Nußdorfer mit den Deisendorfern und Uhldingern nach Seefelden in die Kirche. Zur Pfarrei Seefelden gehörte Nußdorf schon seit 1262. Der regelmäßige Kirchgang nach Seefelden war der Grund, dass die Nußdorfer Dorfwache entstand. Da beim Kirchgang nur noch kleine Kinder und kranke oder sehr alte Bewohner im Dorf blieben, patroulierten zwei Nußdorfer mit einer Hellebarde bewaffnet durch das untere und obere Dorf. Wenn die Kirchgänger zurück waren, stellten die beiden Dorfwächter ihre Hellebarden beim Nachbarn für den nächsten Sonntag ab.

Erst um 1700 wurde die Kapelle wieder hergestellt. Wahrscheinlich wurden zu diesem Zeitpunkt die Malereien von 1597 überweißelt.

Eingeweiht wurde der Altar sogar erst 1763, so dass von da an wieder Messe gelesen werden konnte.

1806 wurde die kleinere Glocke neu gegossen, die größere 1816.

Nachdem 1856 die Großherzogliche Bauinspektion schwerwiegende Mängel u.a. im Dachstuhl und am Glockenturm festgestellt und der Kapellenfonds keine Mittel für die Renovierung hatte, stieg die Gemeinde ein und übernahm die Kosten von gut 1700 fl Gulden, nach heutigem Silberwert ca. 13000 €. Die eigentlichen Renovierungsarbeiten wurden um 1860 geleistet. Dabei wurde der Turm zum heutigen Giebelreiter verkleinert und die Empore über der Eingangstür um ca. 1,20 m verbreitert.

Im Jahr 1888 wurde auf Bitte der Stiftungskommission Seefelden die Kapelle als Eigentum an das Kirchspiel Seefelden, bzw. den Kapellenfonds Nußdorf übertragen, da „nach öffentlicher Ausschreibung von Seiten Dritter keine Eigentumsansprüche geltend gemacht wurden“.

Bei kleinen Ausbesserungsarbeiten wurden in der Kapelle 1925/26 die bereits erwähnten Wandmalereien unter den getünchten Wänden entdeckt. Diese wurden dann 1936 bei einer Renovierung freigelegt und mit Tränklacken aufgefrischt. Außerdem wurden der Reitergiebel und der Dachstuhl erneuert. Die Kosten von gut 7000 Mark trug die Gemeinde Nußdorf, gedeckt durch Holzverkäufe und Steuern, nachdem „das Ordinariat in Freiburg die Renovation der Kapelle … zu Lasten der politischen Gemeinde (genehmigt)“ hatte.

Seit 1936 haben die Nußdorfer mit der Uhr auf dem Turmaufsatz ihre zentrale „Normaluhr“.

Bei einer weiteren Renovierung 1962 wurde „der alte Fußbodenbelag … entfernt und in Sandstein neu eingebracht, einschließlich der Altarstufen“, die vordem aus Holz waren. Die Uhr und das Geläute wurden elektrifiziert. Der Beichtstuhl und die Bänke wurden erneuert und „die Empore durch Stahlträger gesichert“. Die Kapelle bekam eine Elektroheizung. Auch das Türmchen musste renoviert werden.

21 Jahre später, 1983 wurde die Holzdecke ausgebessert. Das Gestühl wurden dunkel gebeizt und die Fresken gesäubert und aufgefrischt.

2008 wurde die Kapelle grundlegend für die stolze Summe von 250 000 € renoviert.

Wenn man den einschiffigen gotischen Bau (16,50 m lang, 7 m hoch und 7,50 m breit) mit „einer Holzdecke, die durch profilierte Leisten aufgeteilt ist“ betritt, wird der Blick von den Fresken auf beiden Längsseiten auf den Schnitzaltar geführt. Den Mittelpunkt des spätgotischen Werks bildet die Mutter Gottes mit Kind erhöht auf einem Podest stehend. Die Namensgeber St. Cosmas und St. Damian stehen eine Stufe tiefer ihr zur Seite. Neben St. Cosmas steht St. Sebastian und neben St. Damian steht St. Jakob, erkennbar am Wanderstab und Muschel, jeweils wieder eine Stufe tiefer. Die fünf Heiligenfiguren sind um 1500 von einem unbekannten Künstler, wahrscheinlich aus dem Salemer Raum geschaffen worden.

Der 1,80 m hohe und 2 m breite Altar ist für die Heiligen wie ein Portal, das in die Kapelle hineinführt. Dieser Eindruck wird noch durch zwei mit filigranem Laub verzierten Bögen verstärkt. Über der Mutter Gottes schwebt eine Krone, die von zwei Engeln weniger getragen als gezeigt wird. Über dieser Krone wiederum ist ein Rahmen, dessen oberer Rand mit einem Rankenwerk geschmückt ist. In der Mitte dieses Rahmens ist der Kopf eines Engelchens, nicht unähnlich dem Logo der oberschwäbischen Barockstraße. Auf dem Rahmen steht ein Kruzifix, zu dessen Füßen Maria Magdalena kniet. Rechts und links von dem Rahmen stehen jeweils eine Statue der Mutter Gottes und des Apostels Johannes. Diese vier Figuren sind in etwa um 100 Jahre jünger als die fünf Figuren des Hauptrahmens des Altars.

Ursprünglich war der Altar ein Flügelaltar, wie man an den zwei Scharnieren an beiden Seiten des Altars sehen kann. Die Flügel wurden vermutlich zu Opfern des 30-jährigen Krieges. An Stelle der Flügel stehen barocke Statuen von Franz von Assisi mit den Wundmalen und Antonius von Padua, einem Zeitgenossen von Franz.

Die Nordwand schmückt eine Statue der heiligen Theresia von Ávila, die Empore über dem Eingang nochmals ein St. Sebastian. Dort auf der Empore befindet sich auch die Orgel, eine Orgel mit Pfeifen, die Ende des letzten Jahrhunderts angeschafft wurde und die eine elektronische Orgel ersetzte.

Die Nord- und Südwand wurden 1597 von einem unbekannten Künstler bemalt. Diese Fresken sind in ihrer Vollständigkeit einmalig im Bodenseeraum.

Schräg hinter dem Altar bilden Jesus, Maria und Petrus eine Dreiergruppe. Unter dem Marienbildnis steht: „Johann Steck derzeit Dorfpfleger zu Nußdorf und seiner ehelichen Hausfrau Lucia Nothhelferin haben diese zwo Stück machen lassen, Gott zu Lob und Ehren“. Der Stifter von Petrus war ein Johann Scheffer.

Dann kommen elf weitere Apostel, aber ohne Judas. Unter ihnen sind fortlaufend Sätze aus dem Glaubensbekenntnis zu lesen. Diese Apostel sind Andreas, Jakobus der Größere, Johannes, Thomas, Jakobus der Kleinere, Philippus, Bartholomäus, Mattheus, Simon, Judas Thaddeus und Matthias. Das Bild des Johannes wurde von Michael Urnau, Heilgenpfleger von Nußdorf gestiftet. Der Name Urnau findet sich heute noch in Nußdorf. Den Mattheus hatte Christoffel Stadelhoff aus Nußdorf malen lassen. Bei allen Aposteln knien kleine Figuren, wahrscheinlich Porträts der Stifter mit einem Fähnchen auf denen der Name der stiftenden Person vermerkt ist. Lesbar sind nur noch die vier oben erwähnten Fähnchen.

Die Bilder der unteren Reihe zeigen auf der Südseite, beginnend unter der Dreiergruppe Jesus, Maria und Petrus

  • das Abendmahl mit 11 Aposteln, aber mit Judas;
  • St. Georg als Ritter mit dem Drachen - der Text ist fast unleserlich, wohl aus seinem Martyrium, wo er mit Knüppeln erschlagen worden ist;
  • die Anbetung der Weisen;
  • das Gastmahl des Herodias mit dem Haupt des heiligen Johannes „arguebat Herodem Johannes propter Herodiadem quam tulerat fratri suo Philippo uxorem (Johannes beschuldigte den Herodes, wie er die Herodias seinem Bruder Philipp als Weib dulden lasse)“.
  • Marias Verkündigung unter der Empore;
  • an der Nordseite die Todesangst Christi am Ölberg;
  • eine Kreuzigungsgruppe;
  • die Erscheinung Christi vor Maria Magdalena nach der Auferstehung;
  • der Einzug Jesu in Jerusalem am Palmsonntag.

Auf der linken Seite steht ein versilbertes Vortragskreuz - vor einer Prozession zu tragen - dessen Vorderseite den Gekreuzigten mit den Symbolen der vier Evangelisten zeigt. Diese sind auf der Rückseite auch versilbert wiederholt.

Auf der Rückseite des Altars ist ein auf Holz gemaltes Jüngstes Gericht, das gut 100 Jahre älter ist als die Wandmalereien, weshalb der Schluss zulässig ist, dass es noch andere Bemalungen unter der von 1597 gibt. Dort sitzt Christus auf der Iris, „die Weltkugel ihm zu Füßen, das Schwert von seinem … Mund ausgehend, ebenso eine Blume, unter ihm die auferstehenden Toten.“ Unter Jesus kämpft St. Michael um die aus dem Fegefeuer auferstandenen Seelen. Rechts neben Christus kniet betend seine Mutter. „Links ein bärtiger Heiliger, ohne Zweifel Johannes der Täufer, unter ihm eine Gruppe Verdammter,“ wohingegen unter der Mutter Gottes nur Selige zu sehen sind.

Die Kapelle ist vom Palmsonntag bis Allerheiligen jeden Tag für Besucher zwischen 9:00 und 17:00 geöffnet.

 

Quellen:

Walter, Leodegar: Die Nußdorfer Kapelle, in: Dorfgemeinschaftshaus Nußdorf. Festschrift anläßlich der Einweihung des Dorfgemeinschaftshauses Nußdorf am 27./ 28. September 1986. Ausschuss für Angelegenheiten des Stadtteils Nußdorf. Nußdorf 1986, S. 22 – 28
Beck, Rudolf: Ergänzende Darstellung zur Geschichte der Nußdorfer Kapelle, in: , in: Dorfgemeinschaftshaus Nußdorf. Festschrift anläßlich der Einweihung des Dorfgemeinschaftshauses Nußdorf am 27./ 28. September 1986. Ausschuss für Angelegenheiten des Stadtteils Nußdorf. Nußdorf 1986, S.30
Spahr, Kolumban: Spätgotik am Bodensee: Die Nußdorfer Kapelle, in: Schönes Schwaben. Land und Leute. Tübingen 1992, Heft 5, S. 36 – 43
Ortschaftsrat Nußdorf: Protokolle 2008

 


[1] Die Totenvigil war ursprünglich das Gebet am Totenbett, bzw. die Totenwache. Sie entwickelte sich im Laufe der Zeit zur Totenmesse.

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